Reisebericht mit der Bahn durch den Kupfer Canyon
Zugreise durch NordmexikoVon all den Dingen die man in Nordmexiko sehen und machen kann, findet sich kein gleichwertiges Abenteuer wie die Bahnfahrt durch den ehrfürchtigen und dramatischen Kupfer Canyon (Barranca del Cobre). Der Zug der Ferrocarril Chihuahua Pacífico, auch bekannt als Kupferschluchtbahn, führt die Passagiere auf einer eindrücklichen Reise von Chihuahua im Hochland der Sierra Madre runter nach Los Mochis beim Pazifischen Ozean. Die Strecke ist eine Meisterleistung der Ingenieurskunst. 86 Tunnels und 37 Brücken mussten konstruiert werden, um die Berglandschaft und das riesige Schluchten-System zu durchqueren. Ein Reisebericht aus dem hohen Norden in Mexiko. |
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Reiseabenteuer in der Barranca del Cobre und der Sierra Madre
Gemütlich schlängelte sich "Chepe" wie der Zug liebevoll genannt wird, durch das Flachland und später durch die ersten Ausläufer der Barranca del Cobre, der Kupferschlucht. Bei jedem Halt wurde die Bahn von Scharen von Verkäufern überfallen, welche neben Esswaren und Getränken auch Schmuck, Uhren, Musik-CDs und Kleider laut schreiend, wild gestikulierend und begabt verhandelnd unter die Leute brachten. Irgendwoher kam immer Musik, entweder live von einer Gitarre oder Synthesizer oder es trällerte lautstark aus einem Radio. Die Leute wechselten die ganze Zeit die Plätze, um sich neue Gesprächspartner zu suchen. Es wurde viel gegessen, wobei das offene Fenster als Abfalleimer diente, damit es innen im Zug immer einigermassen sauber blieb.
Bei Margarita in Creel
Nach einer siebenstündigen Fahrt mit der obligatorischen Verspätung, erreichte ich mein Tagesziel Creel. Das unscheinbare Dörfchen liegt etwa auf halbem Weg durch die Schlucht und sollte mir als Ausgangspunkt für die Erkundung der Umgebung dienen.
Ich folgte einigen Kindern zur Backpacker-Unterkunft "Margarita", welche mir schon auf meiner Reise durch die USA mehrmals wärmstens empfohlen wurde. Eben erst hatte ich meinen Rucksack auf die untere Pritsche eines aus knorpeligem Holz gezimmerten Etagenbettes gelegt, als mich schon drei Amerikaner ansprachen, ob ich auch auf eine kleine Erkundungstour mitkommen wolle. Klar, warum auch nicht, es war ja immer noch früher Nachmittag.
Bruce schien der Wortführer der drei Studenten-Freunde aus Seattle zu sein. Er fragte mich interessiert aus und fand es "really cool", dass ich vor nicht allzu langer Zeit auch bei ihnen in den nördlichen USA gewesen war. Er war ein typischer Amerikaner, mit einem ausgeprägten Kaugummi-Englisch, welches er redegewandt mit einer Gesprächssalve nach der anderen von sich gab. Durch unsere ähnliche Reisephilosophie hatten wir schnell den gleichen Nenner gefunden. Joe war eher auf der ruhigeren Welle und scheinbar ein Sonnenbrillenfetisch. Bevor es nicht stockdunkel wurde, würde er nie im Leben das Teil freiwillig von der Nase nehmen. Mit dem tollpatschigen Brian hatte ich anfänglich meine liebe Mühe, meistens brummelte er nur unverständliches Wortsalven vor sich hin und wenn er mit den anderen rumalberte, waren es meistens Insider-Witze von den guten alten Zeiten.
In der Sierra Tarahumara und Sierra Madre

Jedenfalls wanderten wir ein schönes Stückchen zu einer alten Missionskirche mitten in der Sierra Tarahumara, benannt nach dem Indianervolk der Tarahumaras, einst bekannt als ausgeprägte Ausdauersportler. Genau rechtzeitig kehrten wir zum Abendessen zurück. Die gesamten Globetrotter versammelten sich an drei länglichen Holztischen und liessen sich durch Margaritas deliziöse Kochkünste verwöhnen. Später setzte man sich in den Innenhof, wo Joe mit seiner Gitarre die Reisenden zum Singen zu animieren versuchte.
Lust auf Chips?
Nach einigen ereignisvollen Tagen in diesem traumhaften Dörfchen Creel, zog es mich weiter. Da die Amis ähnliche Pläne wie ich hatten, schloss ich mich ihnen an. Wir wollten uns den 1. Klasse Zug leisten, um die Landschaft in Ruhe von einem Sitzplatz aus geniessen zu können. Erstaunlich pünktlich dampfte die Lokomotive heran. Wir kletterten den Wagon hoch und suchten schon ein Plätzchen zwischen all den Pauschaltouristen, als wir plötzlich bemerkten, dass Brian von seinem Pommes Chips Kauf noch nicht zurück war. Also ganze Bande wieder raus, unter dem empörenden Gemurmel der Fahrgäste. Als das Schlusslicht gerade blinkend hinter der Senkung verschwand, fragte jemand: "Habt ihr Lust auf Chips?" und ein unschuldig schmunzelnder Brian hielt uns eine Familienpackung grüner Doritos unter die Nase.
Tief hinein in die Kupferschlucht
Stunden später kroch der Bummelzug der zweiten Klasse aufs Bahnhofgleis. Zum Glück fanden wir alle irgendwie ein Plätzchen zum Sitzen und schon rollte der Zug weiter. Ein Auge auf das Kartenspiel fokussiert, das andere genüsslich die einmalige Berg- und Schluchtenlandschaft wahrnehmend, schlängelte sich die Bahn in engsten Kehren um jegliche Hindernisse. Nur in den Tunnels war wegen allgemeinem Lichtmangel beides etwas schwierig. Einmal erwischte mich so ein dunkles Loch mitten im Geschäft auf der Toilette. Der nasse Boden zeugte von einer schlechten Trefferquote!
Bahnhof Bahuichivo
Als die Schlucht sich selber nicht mehr an Attraktivität übertreffen konnte, kam plötzlich die Idee auf, beim nächsten Halt doch einfach spontan auszusteigen. Gesagt, getan! Eine kleine Holzhütte mit dem fast nicht mehr leserlichen Lettern "Bahuichivo", täuschte einen Bahnhof vor. Sogar die Anschlussverbindung klappte vorzüglich. Aus einem mit laufendem Motor bereitstehenden Vehikel winkte uns ein Chauffeur erfreut heran, das Geschäft der Woche witternd. Nach einer einstündigen Holperfahrt auf der ärgsten Rallye Strecke, hielt er mitten auf einer Kreuzung an, deutete mit dem Finger der anderen Sandpiste entlang und sagte: "Hotel, Hotel". Tatsächlich fanden wir in einem kleinen Dörfchen eine sehr gediegene familiäre Pension. Nur hatte es nicht mehr genügend Zimmer und somit teilten wir uns zu dritt ein Doppelbett.
Plötzlich ertönten laute Rufe nach Limetten und erinnerten mich an meinen Job, diese in beisskonforme Stücke zu schneiden und begab mich in das Wohnzimmer der Posada. Bei jedem Sitzplatz stand schon ein volles Gläschen bereit, die halbvolle José Cuervo Flasche entlarvte das Wässerchen als Tequila. Ich verteilte die Limetten, während Bruce das Salz auf die hergehaltenen Handrücken streute. Das Team harmonierte ausgezeichnet zusammen. Salud y viva Mexico!
Der Rächer der unerfüllten Sternschnuppe
"Hey Jungs, habt ihr das gesehen?" irgendeiner der zur draussen gelegenen Toilette musste, rief uns aufgeregt aus der guten Stube. Wir begaben uns nach draussen und wurden von dieser unglaublichen Sternenpracht beinahe erschlagen. Stell dir deinen schönsten je gesehenen Sternenhimmel vor, verdopple die Anzahl Sterne und du weisst, wie unbeschreiblich mächtig dieses Phänomen bei der Kupferschlucht auf uns wirkte. Wir legten uns vor die Unterkunft und zogen uns das Spektakel wie im Delirium rein.
Plötzlich hörte ich Fusstritte und wie aus dem Nichts tauchte eine dunkle Gestalt auf. Ich rieb meine Augen und versuchte mir durch eine rasche Kalkulation der getrunkenen Tequila Shots einzureden, ich sei noch voll zurechnungsfähig. Aber das änderte nichts an der Tatsache, dass genau vor uns ein Cowboy mit gezückter Pistole stand!
"Amigos", lallte er, schwankte noch ein paar Schritte vorwärts und versuchte dort erneut sein Gleichgewicht zu halten. Der Mexikaner hatte also bestimmt mehr Alkohol genossen als wir alle zusammen. Dazu gestikulierte er wild mit den Armen und liess die Pistole bedrohlich umherkreisen. Das war also die berüchtigte, wilde Sierra Madre, wie ich schon in einem Buch von Richard Grant gelesen hatte. Bandit Roads, in das gesetzlose Herz Mexiko (bei Amazon ansehen) ist definitiv eine spannende Lektüre, wenn auch etwas abschreckend, wenn man vor hat diese Gegend Mexikos zu besuchen.
"Policia", stammelte er versuchsweise in ernster Miene und rückte seinen Sombrero autoritär zurecht, damit er uns auch mustern konnte. Mir kam er eher vor wie der Jäger der verlorenen Sternschnuppe. Aber angesichts seiner besseren Bewaffnung, behielt ich das für mich. Verdutzt und wie versteinert standen wir da und schauten gebannt auf die Knarre. Immerhin konnte er sich jetzt soweit beherrschen und richtete den Lauf nach unten.
"Yo policia, amigos!" gab er plötzlich wieder von sich. Als er wieder wankte und sich nach dem ersten Ausfallschritt gezwungenermassen wieder in Bewegung setzte, damit er nicht umkippte, bildeten wir beidseitig wie eine Ehrengasse und liessen den mexikanischen John Wayne durchtorkeln. Er schien das Interesse an uns verloren zu haben und nahm die Verfolgung von was auch immer auf! Hastig eilten wir in unsere Zimmer - genug für heute!
Geduldsspiel
Brian hatte sich mit einem vermeintlich packenden Buch lesend an einen Steinbrocken gelehnt, Joe vergewaltigte sein geliebtes Saiteninstrument, Bruce lief nervös hin und her und versuchte durch gezielte Fussballakrobatik die staubige Strassenkreuzung vom Geröll zu befreien und ich versuchten meine Jonglierkünsten zu perfektionieren. Aber alle hatten wir eines gemeinsam, wir frönten des Reisenden liebster Beschäftigung: Warten, warten, warten!
Kein Bus weit und breit. Mich liess das ziemlich kalt, meine Zeitrechnung als Globetrotter gab sich schon lange nicht mehr mit Stunden oder Tagen ab, vielmehr mit Wochen oder sogar Monaten. Nicht so Bruce, durch mutiges mitten auf die Strasse stehen, hielt er die wenigen vorbeikommenden Vehikel an und fragte, ob sie uns tiefer in die Urique-Schlucht bringen könnten. Ohne Erfolg. Erst als der Stundenzeiger wieder seine Runden gedreht hatte, Brian sein Buch schon längstens gelangweilt wieder in den Rucksack gepackt hatte, Joe die Finger wund gespielt hatte, Bruce die Strasse geröllfrei gekickt hatte und der Jongleur keine Bälle mehr sehen konnte, war ein mit Holzbänken auf der Ladefläche ausgebauter Pick-up gegen ein entsprechendes Entgelt bereit uns mitzunehmen.
In die Urique-Schlucht

Schnell spurteten noch etliche Mexikaner herbei um mitzufahren, dies schien eine einmalige Mitfahrgelegenheit zu sein. Eng zusammengepfercht holperten wir dann endlich los auf einer halsbrecherischen Fahrt mehrere Hundert Meter runter in die Urique-Schlucht. Zuunterst im höllisch heissen Dörfchen Urique angekommen, vernahmen wir als erstes, dass heute Abend eine Hochzeit stattfinden sollte. Alle seien eingeladen, hiess es!
Mexikanische Hochzeit in der Schlucht
Wir teilten die einzige Unterkunft mit den heute angereisten Verwandten aus der lokalen Hauptstadt Chihuahua und einer über zehnköpfigen Musikband. Es herrschte ein emsiges Treiben und auch wir versuchten uns mit unseren limitierten Möglichkeiten festlich zu kleiden. Dazu rasierten wir uns alle das erste Mal seit langem und verpassten uns mit dem einzigen verfügbaren Parfum von Brian alle die gleiche Duftnote. Wir fühlten uns wie neu geboren und freuten uns auf die fiesta mexicana.
Als wir neugierig bei der Kirche angelangten, kam die Hochzeitsgesellschaft soeben aus dem riesigen Haupttor. Die Fotokameras schossen los, jeder wollte mal mit den Frischvermählten verewigt werden. Die Gäste forderten auch uns auf, mit der Braut zu posieren. Später bewegte sich dann die Menschenmenge auf den Hauptplatz und den angrenzenden Basketballplatz neben der Schule, wo in der Zwischenzeit die Musiker fröhlich aufspielten. Sofort verfielen die Leute in den passenden Tanzschritt und die Fiesta war lanciert. Wir wurden herzlich aufgenommen bei den feiernden Verwandten und den Dorfbewohnern. Die Gastfreundschaft und Offenheit der Mexikaner ist wirklich unglaublich und unvorstellbar für unsere europäischen Vorstellungen.
Nur vielen bekam der plötzlich in grossen Mengen vorhandene Alkohol nicht allzu gut. Als ich am nächsten Tag zu einem morgendlichen Spaziergang ansetzte, lagen noch etliche Hochzeitsgäste am Rande der Staubpiste im tiefsten Erholungsschlaf.
Wir verbrachten noch zwei Tage in Urique. Wegen der unglaublichen Hitze widmeten wir jedoch dem Kartenspiel mehr Zeit als dem Erkunden der Schlucht. Erst am späteren Nachmittag, wenn die Sonnenstrahlen nicht mehr eindringen konnten, unternahmen wir Erkundungstouren und badeten im Fluss.
An die pazifische Küste
Wieder zurück an der Bahnlinie, am Bahnhof von Bahuichivo, nahmen wir wiederum den 2. Klasse Zug in westlicher Richtung. Durch die weiterhin sehr attraktive Schluchtenlandschaft, über unzählige Brücken und durch unzählige Tunnels, kurvte der Chepe nun langsam aber sicher runter ins Tiefland. Spätabends erreichten wir die mexikanische Westküste, respektive den unweit davon gelegene Endbahnhof von Los Mochis.
Fähre auf die Baja California
Zwischen dem Festland und der Halbinsel Baja California erstreckt sich eine lang gezogene Meeresbucht. Mehrmals wöchentlich überwinden Fähren von Topolabampo aus das nasse Hindernis. Es dauerte tatsächlich bis Mitternacht, bis all die Autos und Lastwagen auf die Ladebrücke manövriert worden waren. Erst jetzt war es den Fahrgästen erlaubt an Bord zu gehen. Als ginge es um Leben und Tod hetzten die Passagiere über die Planke und schwärmten auf das gewaltige Schiff, um sich das beste Liegeplätzchen für die Nacht zu ergattern. Mit Kind und Kegel und unverhältnismässig viel Gepäck wurden ganze Sitzreihen eingenommen. Nur die wenigsten vermochten sich den Luxus einer eigenen Kabine leisten.
Das schien niemanden zu kümmern, schon Minuten später dösten die ganz abgehärteten in den akrobatischsten Positionen friedlich vor sich her schnarchend ein. Andere wiederum machten sich vorerst an die Zubereitung eines reichhaltigen Nachtessens. Natürlich wäre ein simples Sandwich nicht gut genug gewesen, vielmehr gab es mitgebrachte Tortillas, mit allerlei schon zu Hause vorbereiteten Zutaten und etlichen hausgemachten scharfen Chili-Saucen. Wasser trinkt ein Mexikaner grundsächlich höchst selten, nicht umsonst sind sie noch vor den Amerikanern amtierende Weltmeister im Coca Cola Konsum.
Auch ich genehmigte mir noch einen Gute-Nacht-Drink, eine erfrischende Cerveza Pacifico, passend zum Pazifischen Meer. Dann knöpfte ich meine Hängematte auf der vorderen Steuerbordseite fest, liess mich durch den Wind in den Schlaf schaukeln und träumte von meinem nächsten Reiseabenteuer auf der Halbinsel Baja California.