Northern Territory und Queensland in Australien
Michi und Silvia sind eigentlich mit dem Fahrrad unterwegs in Australien. Zur Überbrückung eines einsamen, eintönigen Streckenabschnitts, entscheiden sie sich für die abenteuerliche Fahrt mit einem australischen Roadtrain.
Tausche Fahrrad gegen Roadtrain
Wir befinden uns beim Roadhouse in Three Ways (www.threewaysroadhouse.com.au), mitten im Northern Territory in Australien. Dort gibt es Benzin, Fast Food und einen Camping, wo wir eine kurze Nacht verbracht haben. Wegen dem starken Gegenwind am Tag, sind wir durch die Nacht geradelt und sind deshalb erst um 2 Uhr morgens ins Zelt gekrochen. Vor uns liegen knapp 700 km heisse Savannen-Landschaft ohne Schatten und mit sehr wenig Infrastruktur. Wir entschliessen uns, die Strecke nicht mit den Tourenrädern zurückzulegen und uns einen "lift", eine Mitfahrgelegenheit zu besorgen.
Leider sind alle Vehikel, die anhalten um aufzutanken, vollgestopft bis unters Dach, und ich sehe keines, das mal rasch zwei Personen samt Velos und Gepäck unterbringen könnte. Busse fahren nur von Tennent Creek aus und halten nicht hier. Als letzte Möglichkeit bleiben nur noch die Roadtrains. So nennt man hier in Australien die Lastenzüge mit bis zu vier Anhängern und mit bis zu 50 Meter Gesamtlänge. Ein mit Kühen und Bullen beladener Roadtrain auf dem Weg ins Schlachthaus wiegt unfassbare 140 Tonnen!
Backpacker mit Känguru kollidiert
Während wir also auf anhaltende Roadtrains warten, kommen wir mit zwei jungen, deutschen Backpackerinnen ins Gespräch. Sie sind während der Nacht mit einem Känguru kollidiert und haben dabei ihr Mietauto stark beschädigt. Durch den massiven Aufprall, hat es den Ventilator in den Kühler gedrückt, die Motorhaube beschädigt und die linke Blinker-Lichteinheit zerschmettert.
Rettender Roadtrain
In diesem Moment hält drüben auf dem Lastwagenparkplatz ein Truck. Er hat keine Fracht geladen und den hinteren Anhänger auf den vorderen aufgeladen; wohl um die Reifen zu schonen und um Diesel einzusparen. Ich gehe auf den Fahrer zu, frage freundlich wohin er fährt und erkläre ihm unser Anliegen. Er will tatsächlich ins östlich gelegene Mount Isa im Bundesland Queensland und dann weiter bis nach Brisbane. Aber aus versicherungstechnischen Gründen, will er nur eine Person mitnehmen. Shit! Ich will wissen, ob er bereit wäre unsere Ausrüstung, Reisegepäck und Bikes mitzunehmen. Er sagt, dass sich dies wohl irgendwie machen liesse und ich renne los um Silvia zu informieren und um die Tourenräder zu holen.
"Silvia, der Typ fährt nach Mount Isa und würde die Fahrräder sowie unser Gepäck mitnehmen, allerdings kann oder will er nur einen von uns mitnehmen. Was sollen wir tun? Würdest du alleine mit ihm fahren? Ich hätte es dann einfacher ohne Gepäck eine Mitfahrgelegenheit zu kriegen und würde so schnell wie möglich nachkommen".
Silvia stimmt zu und alles geht nun sehr schnell. Wir zurren die Fahrräder auf der Ladefläche fest, verstauen das Gepäck in der Führerkabine und vereinbaren einen Caravanpark in Mount Isa als Treffpunkt. Ich schiesse noch schnell ein "Erinnerungsfoto" von Peter, so heisst der Fahrer, vor seinem Lastwagen; man weiss ja nie... Dann fahren die beiden los und lassen mich mit einem mulmigen Gefühl im Bauch zurück. Wenn das nur gut geht!
Ich setze mich auf eine Bank bei der Tankstelle und warte auf die nächste Chance. Nach wenigen Minuten entdecke ich einen weiteren Roadtrain, der von der Strasse abbiegt und langsam auf den Parkplatz zurollt. Erneut spaziere ich hinüber und überlege mir dabei was ich sagen soll. Der Fahrer ist bereits ausgestiegen und schlägt mit einem Eisenstab auf die Reifen um allfällige Plattfüsse aufzuspüren. Er macht einen mürrischen Eindruck als ich ihn grüsse und ich traue mich nicht in anzuquatschen.
Stattdessen schlendere ich zurück und setze mich wieder hin. Ich unterhalte mich noch eine Weile mit den deutschen Girls, die immer noch ausharren und auf den Abschleppdienst warten. Sie erzählen mir von Ihrer letzten Reise mit dem Mietwagen in den USA und nun in Australien. Sie haben die Nacht im Auto hier auf dem Parkplatz verbracht und verabschieden sich jetzt zum Duschen.
Melonen-Express nach Mount Isa
Ich schaue mich um und sehe wie der mürrische Roadtrain-Fahrer versucht mit zwei Anhängern rückwärts zu fahren, um einen dritten Anhänger anzukuppeln. Ich renne hinüber und frage, ob ich ihn mit Handzeichen einweisen solle. Er scheint dankbar und gemeinsam ist der Anhänger im Nu eingeklinkt. Wir kommen ins Gespräch und gar nicht mehr mürrisch sagt er: "Well, you just got yourself a lift to Mount Isa".
So genial, ich darf in seinem Ungetüm mitfahren! Der Fahrer heisst Ray, kommt aus Moonie, einem kleinen Kaff in der Nähe von Brisbane und ist unterwegs nach Toowoomba mit 65 Tonnen Honig- und Wassermelonen aus Broome. Da er immer alleine unterwegs ist, und manchmal tagelang nicht zu Frau und Kinder nach Hause kommt, blüht er in meiner Gesellschaft richtiggehend auf und labert wie ein Irrer. Er erzählt mir fast seine ganze Lebensgeschichte, sehr viel Interessantes über Land und Leute und natürlich viel über seinen Beruf.
Das Lügenbuch
Ray macht diese Melonen-Reise einmal die Woche, und legt so während einem Monat unglaubliche 28'000 km zurück. Natürlich ist auch hier in Australien Zeit = Geld und so versuchen alle Truckies mit möglichst wenig Schlaf, und möglichst viel Fahrzeit über die Runden zu kommen. Fahrtenschreiber oder Nachtfahrverbote gibt es nicht und das Büchlein in das sie ihre Ruhezeiten eintragen müssen, nennt er Lügenbuch. Um nicht am Steuer einzuschlafen und um diesen Rhythmus während längerer Zeit durchzustehen, nehmen viele Fahrer "Speed" (Aufputschmittel) und zerstören sich damit über kurz oder lang die Gesundheit.
Wir halten kurz im Barkley-Roadhouse, um die Reifen zu checken und ich spendiere ihm ein Eis. Dann geht es weiter durch die eintönige, heisse Savanne. Manchmal ist die Strasse nur einspurig und zwingt entgegenkommende Fahrzeuge in den Schotter, damit wir freie Fahrt auf dem schmalen Asphaltband haben.
Fliegender Fahrerwechsel
Es ist ein tolles Gefühl, so hoch oben in der Führerkabine zu sitzen und alle bringen sich in Sicherheit, wenn sie uns heranrollen sehen. "Can you drive a car?", will Ray auf einmal wissen. "Yeah, I got the license but I don't drive very often", entgegne ich ihm.
"How about driving this Roadtrain for a while? Do you think you could do that?"
Ich bin völlig perplex und denke er will mich verarschen. "You must be joking... you are just pulling my leg, aren't you?"
Aber anscheinend meint er es ernst, denn er fordert mich auf, meine Flip-Flops abzustreifen und hinten auf sein Bett zu krabbeln. Bevor ich realisiere was abgeht, sitzt er auf dem Beifahrersitz und steuert das Gefährt weit hinüber gebeugt mit nur einer Hand. Nun will er, dass ich auf den Fahrersitz klettere. Und ehe ich mich versehe, habe ich auch schon das Lenkrad in der Hand und versuche verzweifelt, barfuss die richtige Pedale zu finden.
Ich kriege einen Schweissausbruch und umklammere krampfhaft das Lenkrad. Ray zeigt auf einen Hebel, den ich umlegen soll, falls ich Probleme bekommen sollte und schärft mir ein, auf keinen Fall zu bremsen wenn wir vom Asphalt abkommen sollten, sondern immer auf dem Gaspedal bleiben müsse, was helfen soll, die Anhänger zu stabilisieren.
Er ist völlig relaxt, während ich verbissen mit dem Lenkrad kämpfe, um ja nicht mit den linken Zwillingsräder der Anhänger in den Schotter hinaus zu gelangen. Die Strasse ist wellig, ein ständiges auf und ab. Bergauf merke ich wie das Gewicht der Ladung am Zugfahrzeug rupft und uns diese enorme Masse hinter dem Hügel hinunter stösst. Zum Glück muss ich nicht schalten, denn ich habe keine Ahnung wie man die 18-Gänge dieses 550 PS Monsters bedient.
Überholen bitte
Plötzlich meldet sich einer über das UHF-Radio. Es ist ein Tourist auf Rundreise in einem Wohnmobil, der hinter uns aufgetaucht ist, und überholen möchte. Ganz cool nimmt Ray das Sprechgerät und sagt: "No worries mate. You just take it easy and we try to keep it straight". Der Campervan ist nur unwesentlich schneller als wir und braucht eine halbe Ewigkeit, um sich an uns vorbei zu schieben. Der Fahrer bedankt sich freundlich bei uns nach gelungenem Überholmanöver und Ray weist auf eine Schnur über meinem Kopf an der ich ziehen soll. Puuuup, puuuuup!
Kurz bevor die Strasse wieder einspurig wird, erlöst mich Ray und übernimmt wieder das Steuer. Auch diesmal wechseln wir "fliegend" während der Fahrt. Ich äussere meine Erleichterung darüber, das nichts passiert ist und bedanke mich für das einmalige Erlebnis. Ray meint, ich sei gerade eben mal 1.5 Stunden am Steuer gesessen und hätte 120 km zurückgelegt.
786 Dollar Benzingeld
In Mount Isa (www.mountisa.gov.au) angekommen, halten wir noch kurz an einem Truck-Stop. Ray wäscht die Windschutzscheibe und ich laufe mit der Eisenstange um das Fahrzeug und haue damit auf die Reifen. Wir haben keine Platten. Danach füllt Ray noch die Dieseltanks des Trucks und des Kühlaggregats. Die Rechnung beläuft sich schlussendlich auf 786 Dollar, bei einem Literpreis von ca. 83 cents. Und dabei waren die Tanks noch recht voll. Während einer Fahrt von der Ostküste hoch in den Norden und mit den Melonen zurück verbrennt er Treibstoff im Gegenwert von 5000 Dollar!
Wiedersehen in Mount Isa
Danach fahren wir zusammen zum Caravanpark. Es ist spät geworden. Ray will unbedingt solange vor dem Caravanplatz warten, bis ich Silvia gefunden habe. Wie blöd, irre ich im Dunkeln umher, bevor ich endlich, gleich neben dem Eingang, unser Zelt und die Bikes finde. Silvia ist nicht im Zelt, kommt dann aber frisch geduscht hinzu, sie hat den Roadtrain heranfahren gehört. Wir sind beide überglücklich, dass alles so gut geklappt hat und laufen zusammen hinaus auf die Strasse, um uns gemeinsam von Ray zu verabschieden
Wir bleiben noch eine Weile wach - wir haben uns viel zu erzählen! Und bald geht die Reise mit dem Fahrrad weiter...
Reisebericht-Autor: Michael Tschopp