Auf Reisen im Hochland von Kolumbien

Willkommen in Kolumbien

Im Tal flimmert die Hitze. Die Menschen riechen nach süss-saurem Schweiss. Flache Blechhütten stehen Glied an Glied. Die Strassen sind gradlinig und beschmutzt mit Cola Flaschen, Kaugummi-Papierchen und gebrauchten Windeln. "Eine zeitgenössische Hölle, nichts wie raus hier!" Willkommen in Villarica, im Norden von Kolumbien.

Auf sandigen Fahrrillen kämpft sich unser Jeep hoch in die Berge. Wir werden von einer Laternenparade mit lauter singenden Menschen nett begrüsst. Ah, hier kann man wieder aufatmen: Pueblo Bello.

Bergdorf Pueblo Bello

Dorf in den kolumbianischen Anden

Typisches kolumbianisches Dorf im Hochland der Anden.

Wie der Name schon sagt, ist Pueblo Bello ein schönes und gemütliches Bergdorf mit ein paar Annehmlichkeiten wie Elektrizität, Steinbauten und einer kleinen asphaltierten Hauptverkehrsstrasse; ansonsten alles "tranquilo". So viel friedlicher ist es hier, die Menschen so viel freundlicher als in der heissen, muffelnden Stadt. Ein jeder wechselt mit uns Fremdlingen ein paar nette Worte. Die Ladentüren, jedes zweite Häuschen ist ein "Supermercado", stehen einladend Tag und Nacht auf, bis die Inhaber zu Bett gehen. Autos gibt es hier nur zwei oder drei; alle werden sie mit Menschen voll gestopft, denn das ist die einzige Möglichkeit, um in die Stadt im Tal zu gelangen. Ansonsten reitet hier klein und gross, jung und alt auf seinem Pferd. Ein jeder trägt schwarze Lederstiefel, einen naturfarbenen Poncho und einen Strohhut. Einfach schön!

Weitere knappe drei Stunden abenteuerliche Jeepfahrt und wir sind in dieser unglaublichen Märchenwelt auf der Reise durch Kolumbien. Von dem mit Kiefernwäldern umzäumte Tal, entspringen rechts und links runde Bergkuppen, die um die 3’000 Meter hoch sind. Durch die satt-grüne Ebene schlängelt sich ein Bach, der vermuten lässt, dass viele Forellen fröhlich drin umher schwimmen.

Bei den Arhuaco-Indianern

Inmitten dieses grossen fruchtbaren Plateaus liegt Nabusimake, ein Indianerdorf der Arhuaco, das nur noch zu Versammlungen aufgesucht wird. Das Örtchen setzt sich aus etwa zwanzig weissen Lehmbauten mit Strohdächern und bunten wilden Gärtchen zusammen. Wir haben Glück, es ist gerade Versammlung, dessen Schwerpunkt "Wie sollen wir mit den weissen Zuwanderern umgehen und geben wir den Zugang der umliegenden heiligen Bergen frei für Wanderer?"

Dank der Zusammenkunft, bekommen wir den ersten Kontakt zu den olivfarbenen Indianern, mit ihren langen schwarzen Haaren. Sie alle tragen einen weissen Bast Hut, der wie ein umgedrehter Kochtopf ohne Henkel aussieht; eine beige ärmellose Leinenkutte, die mit einer Kordel in der Taille zusammen geschnürt wird und eine weisse, meist grau verstaubte, weite Schlabberhose. Sie laufen vorwiegend Barfuss. Ihre Gesichter sind mit ihrem hohen Backenknochen und ihrer spitzen Nase ausgesprochen markant. Halb scheu, halb neugierig schauen sie uns mit ihren grossen braunen Mandelaugen an. So gesprächig und zuvorkommend wie die Einwohner von Pueblo Bello sind sie allerdings nicht! Ihr Misstrauen ist verständlich, wenn man bedenkt, dass Ihre Lebensweise gänzlichen Einfluss unserer Zivilisation ablehnt und wenn man die Ruhe hier oben spürt, kann man das nur zu gut nachvollziehen.

Unterkunft in der Schulküche

Anden-Tal in Kolumbien

Ein Fluss bahnt sich einen Weg durch das Anden-Tal.

Auf unserem Abstieg zu Fuss zurück nach Pueblo Bello, kommen wir in einen kräftigen Regen, unsere Knie tun weh, wir sind völlig erschöpft und wir haben einfach keine Lust mehr. Wir versprechen uns zwar nicht viel davon, dennoch fragen wir zwei Indianer nach einer Schlafmöglichkeit. Nach langem beratschlagen erlauben sie uns in der Küche von der Schule zu übernachten.

Sie führen uns zu einer runden, fensterlosen Lehmhütte, so gross wie ein kleines Kinderzimmer, das ist die Schulküche! Wir packen unser Gepäck aus den Rucksäcken und legen Isomatte und Schlafsack auf den sandigen Boden. Wir wissen nicht so recht wie wir uns verhalten sollen. Wir versuchen uns zu verständigen, aber das ist schwierig, denn sowohl für uns als auch für die Indianer ist Spanisch eine Fremdsprache. Unsere Gastwirte sind schüchtern und wissen nicht so recht was sie von uns halten sollen. Und so sitzen wir vereint auf dem Boden um das offene Lagerfeuer inmitten der Küche im Schneidersitz. Jede unserer Bewegungen, jeder Atemzug wird genaustes beobachtet. Was machen wir jetzt? Gehen sie jetzt?

Wir haben Hunger. Langsam packen wir unseren Proviant aus, das bisschen was wir dabei haben: ein paar getrocknete Würste, Trockenobst, Äpfel und trockenes Weissbrot. Wir sprechen wenig auf Deutsch, nur so viel wie unbedingt nötig. Wir möchten unsern kolumbianischen Gastgebern gegenüber nicht unhöflich sein. Einer der vier Indianer verlässt die Küche und holt etwas, von dem wir vermuten, dass es ein Linseneintopf ist. Wir essen und ein jeder inspiziert mit argwöhnischen, doch interessierten Blicken das Essen der Fremdlinge.

Kulturelle Verständigung

Kolumbianische Kinder

Zurückhaltende Kinder beobachten uns neugierig.

Mate-Tee trinkend versuchen wir vorsichtig ein Gespräch anzufangen. Wir bieten uns gegenseitig etwas von unseren Spezialitäten an. So gewinnen unsere Gastgeber ein wenig Vertrauen in uns. Ihre Neugierde scheint grösser als ihre Scheu zu sein. Sie fragen uns wie wir denn nach Kolumbien gekommen seien und wie teuer denn der Flug gewesen wäre. Oh, eine ganz schwierige Frage - die Antwort würde sie ja gleich umhauen. Wir versuchen die Frage zu umgehen, indem wir ihnen erklären, wie lange wir dafür arbeiten mussten. Und dann die übliche Frage, ob wir verheiratet seien. Wir antworten souverän, denn das Thema waren wir bereits zu Hause durchgegangen.

Wir hatten beschlossen, dass wir für die Reise seit zwei Jahren verheiratet seien und hatten für diesen Zweck auch jeweils einen "Ehering" aus dem Kaugummi Automaten an. "Habt Ihr Kinder?" "Nein." Nachdenkliche Pause. Unruhiges Getuschel und Beratschlagen. Einer der vier Indianer, er muss das Oberhaupt der Gemeinde sein, hat die schwierige Aufgabe uns zu fragen, wie lange wir denn schon verheiratet seien. Unsere Antwort wird den anderen übersetzt: schockierte Gesichtsausdrücke. Sofort darauf fallen einvernehmend alle vier in eine Art Gebetstrance. Sie brummen gemeinschaftlich für uns unverständliche Worte vor sich hin und verbeugen sich gleichzeitig immer wieder nach vorne und nach unten. Diese Zeremonie dauert sicherlich eine dreiviertel Stunde. Unsere neuen Freunde beteten für uns. Sie sind davon überzeugt, dass einer von uns krank ist, denn anders können sie es sich nicht vorstellen, dass wir nach ganzen zwei Jahren noch immer keine Kinder haben. Wir sind verunsichert, beschämt, geehrt und dankbar zugleich.

Es ist schon spät und wir sind müde. Demonstrativ bereiten wir uns zum zu Bett gehen vor. Irgendwann als wir schon schlafen, verlassen sie die Küche. Die ganze Nacht über steht einer von ihnen vor unsere Türe, nicht um uns zu überwachen, sondern um uns zu beschützen.

Dieses einzigartige Erlebnis werden wir nie vergessen. Nein, wir bedauern die Kolumbianer nicht um ihre einfache Lebensweise, sondern sie uns, um unser nicht vorhandenes Glück.

Reisebericht-Autorin: Sonja Wolfgramm