Abenteuerbericht und kurze Trekkings in den venezolanischen Anden

In den Anden bei El Vigia

Dichter Nebel und Nieselregen dominierten den tristen Morgen und vermiesten die Ankunft in der Bergwelt gründlich. Nichts von grün überzogenen Berghängen, schneebedeckten Gipfeln, glasklaren Quellbächen und einladende Seitentälern. Das soll die Anden-Stadt Mérida sein? Na ja, zuerst mal eine Unterkunft finden. "Posada La Montaña, por favor." "Claro", meinte der Taxifahrer. Im Zentrum angekommen fragte er aber nochmals nach dem Namen des Hotels. Es folgte ein Schulterzucken mit entsprechender Grimasse. "No lo conozco!", kenn ich nicht, war die deutliche Antwort. Zur Gedächtnisauffrischung nach der gestrigen eventuell durchzechten Weihnachtsfeier gab ich ihm die Strassennamen gemäss Reiseführer an. "Diese Strassen gibt's hier nicht" , murmelte er. Wir ahnten böses! Tatsächlich hatte uns der Nachtbus von Caracas statt in den Ort Mérida, nur in die erst grössere Ortschaft im Bundesstaat Mérida gebracht. Sofort eilten wir zurück zum Busterminal und erwischten gerade noch einen Bus nach Mérida City.

Mérida im Bundesstaat Mérida

Mit dem Bus unterwegs in den Anden

OK. Zeitmaschine zurück gespult. "Erneute" Ankunft in Mérida: Die Sonne strahlte uns entgegen, grün überzogene Berghänge, schneebedeckte Gipfel, glasklare Quellbäche und einladende Seitentäler begrüssten uns. Nur die Unterkunftssuche stellte sich (wiederum) als ein Geduldsspiel heraus, die Zeit über Weihnachten und Neujahr ist Haupturlaubszeit in Venezuela und ganz Südamerika.

Outdoor-Aktivitäten für Budget-Backpacker

Das Outdoor Angebot in Mérida ist riesig: Paragliding, Rafting, Canyoning, Mountainbiking, Trekking-Touren und die nahe gelegene Gegend "Llanos" bietet zudem noch Tiersafaris mit Piranha fischen und Anaconda streicheln. Leider, leider war die Zeit sehr knapp und nach der Reise durch ganz Zentralamerika, war unser Budget relativ bescheiden geworden. Die Preise der lokalen Aktivreiseveranstalter konnten wir uns gar nicht wirklich leisten. Da kam uns Rolando (heimlicher Übername: Rolandiño) genau richtig. Er quatschte uns auf der Strasse an und anerbot sich als Führer für einige Tageswanderungen. Hand drauf, wir verabredeten uns für Morgen!

Der venezolanische Rolandiño

Rolando war irgendwie ein schräger Vogel. Von kleiner Statur mit einem unpassenden Schnauz der gerade mal genug Härchen hatte, um als Schnauz zu gelten. Er trug eine mickrige, runde Brille auf einer länglichen, spitzigen Nase, was ihm einen Hauch eines Intellektuellen verlieh. Ein weiteres Hauptmerkmal war seine vergammelte, ursprünglich wahrscheinlich mal grüne Mütze, welche er um nichts auf der Welt abnahm. Ebenso alt und wenig gewaschen waren sein graues T-Shirt und ein mexikanischer Poncho darüber. Auf der einten Seite wusste er erstaunlich viel über die Tier- und Pflanzenwelt, sowie Geschichte und Kultur Venezuelas, auf der anderen Seite war uns sein Maulwerk ein bisschen zu lose, mit vielen dubiosen Geschichten und Reiseberichten, bei denen wahrscheinlich höchstens die Hälfte der Wahrheit war.

Express-Transport in die Anden

Nachdem wir genügend Proviant eingekauft hatten, quetschten wir uns am nächsten Morgen früh mit Rolando in einen Minibus, welcher uns höher hinauf in die Anden brachte. An der Endstation der Buslinie half nur noch der Daumen weiter, um das nächste Transportmittel anzuheuern. Auf der Ladefläche eines violetten Pick-ups überliessen wir unser Leben einem hirnkranken Strassen-Rowdy. Trotz der engen und kurvenreichen Bergstrasse mit dichtem Feiertagsverkehr, überholte er an den unübersichtlichsten Stellen, zwängte sich in die sich langsam aufwärts schlängelnde Kolonne, schnitt die Kurven und näherte sich um Haaresbreiten an den steil abfallenden Abgrund. Die Strecke erinnerte uns immerhin an die bekannte Todesstrasse in Bolivien. Immerhin gelangten wir so schon nach einer Stunden auf den höchsten Punkt der venezolanischen Passstrasse, beim "Pico de Aguila" auf 3'500 m.

Laguna Mucubaji y Laguna Negra in der Sierra Nevada

Laguna Negra in der Sierra Nevada

Ich war echt froh, konnte ich die Verantwortung meines Lebens nun auf meine Beine übertragen. Nach einer kurzen Wanderung erreichten wir bei strahlend blauem Wetter die Lagune Mucubaji in der Sierra Nevada. Ein Pfad führte weiter dem Berghang entlang durch den Wald, vorbei an grossen Feldern mit der für Venezuela typischen Pflanze Fray Leon, mit den bestechend gelben Blüten und geschmeidig weichen Blättern. Mit den Blättern der Pflanze könne man Tee zubereiten, sie dienen als Isolationsmaterial zum Zelten und sogar als Toilettenpapier für Notfälle. Na ja, Rolando musste es ja wissen. Unser Tagesziel war die etwas kleinere Laguna Negra, schön in ein Seitental eingenistet und mit einem erstaunlichen Bestand an Forellen. Wir hatten uns in den Kopf gesetzt, unser Abendessen mit blosser Hand fangen zu können. Noch nicht wissend, dass wir später eine Büchse Thunfisch werden öffnen müssen.

Bei Tia Maria

Leider zogen bald dicke Nebelschwaden ins Tal und liess es empfindlich kühler werden. Höchste Zeit sich zur Unterkunft zu begeben. Rolandiños Plan war, in einem kleinen Dörfchen bei seiner Tante Maria zu nächtigen. Das Haus war äusserst bescheiden, eine Mischung aus Stall und Wohnhaus, jedoch hübsch am Berghang gelegen, mit einer vernebelten aber doch eindrücklichen Sicht auf die Bergwelt der Anden.

Mit einem Bärenhunger machten wir uns sofort ans Kochen. Aus Dankbarkeit wollten wir Tia Maria zu feinen Spaghetti an Thunfischsauce einladen, aber sie traute unserer italienischen Kochkunst wohl nicht so recht und bevorzugte ihr eigenes Nachtessen. Beim Auftischen der mitgebrachten Tequila Flasche aus Mexiko, leuchteten ihre Augen schon eher auf und sie hielt ihre sonst eher an Kaffee gewohnte Tasse neugierig hin. Ich hatte irgendwie erwartet, die sicher 70-Jährige würde jetzt vorsichtig an der Tasse nippen. Doch weit gefehlt, in einem Schluck war der kostbare Agaven-Schnaps Vergangenheit.

Sie habe auch ein Wunderwasser, meinte sie, als sie zu einem Holzschrank humpelte. "Miche, Miche", krächzte sie, uns je einen oben am Rand angebissenen Plastikbecher mit dem anishaltigen Likör hinhaltend. Mit gutem Beispiel voran kippte sie ihren Anteil runter und lächelte die jüngere Generation erwartungsvoll an. "Bien, bien", sagte sie wieder in ihrer typischen Manier alles doppelt zu erwähnen. So sassen wir noch eine ganze Weile an diesem Holztischchen, unter einer im Abendwind baumelnden Glühbirne in der Küche. Abwechselnd aus den verschiedenen Flaschen trinkend, liessen wir uns von Tia Maria von den schwierigen und rauen Zeiten als Bewohner der Anden erzählen.

So ziemlich die mieseste Unterkunft in Venezuela

Gegen Mitternacht schien sie die Bar schliessen zu wollen und führte uns zu unserem Schlafraum. Den Umständen entsprechend konnte nicht viel erwartet werden, aber leere Dosen und sonstiger Abfall auf dem Boden, sowie ein vergammelter Pullover in einer Ecke wirkten ziemlich ausladend. Die Matratze hatte wahrscheinlich schon etlichen Generationen gedient und präsentierte sich jetzt in einer unebenen, wellenartigen Form. Als Ersatz eines Bettgestells wurden einige unter der Matratze verteilte Kisten missbraucht. Auch die Fauna war recht eindrücklich: Spinnen, Ameisen, Fliegen, Mücken, Kakerlaken und am Morgen weckten uns einige Hühner, welche sich vor einem Schweinchen hier zu verstecken versuchten. Schlussendlich fand das Schwein aber uns alle! Von gut geschlafen konnte wohl kaum die Rede sein! Tia Maria hat wohl eine der spannendsten Bars, jedoch bestimmt die mieseste Unterkunft Venezuelas.

Trekking zu heissen Quellen

Trekking-Tour in den Anden von Venezuela

Unsere heutige Trekking-Tour führte uns auf einem schmalen, zickzackenden Pfad von Tabay die Westflanke der Sierra La Culata hoch, zu einem kleinen Balneario mit heissen Quellen. Die versprochene Sauna war zwar enttäuschend schmuddelig, mit nur einem vergammelten Brett über dampfendem Wasser, welches einem nur halb zum Schwitzen brachte. Umso gediegener liess es sich im heissen Planschbecken sitzen. Wir bedankten uns bei Rolando mit einem grosszügigen Trinkgeld für seinen Guide-Service und kehrten wieder nach Mérida zurück.

Teleferico de Mérida in die Sierra Nevada

Davon können andere Bergbahnunternehmen nur träumen: Um die Seilbahn in die Bergwelt des Nationalparks Sierra Nevada zu nehmen, muss man in der Hochsaison tatsächlich mindestens einen Tag im Voraus reservieren, weil sie täglich ausgebucht ist. Die 1958 durch die Franzosen konstruierte Bahn gilt mit 12.5 km als die längste der Welt und hat zugleich die welthöchste Gipfelstation beim Pico Espejo auf 4'765 m. Natürlich gäbe es auch wieder einige lohnenswerte Wanderungen von hier aus, zum Beispiel auf höchsten Berg des Landes, den Pico Bolivar oder ins Andendörfchen Los Nevados. Da dies unser letzter Tag in den Anden war, begnügten wir uns mit einem kleinen Trekking in der Umgebung der Gipfelstation und einer Rundtour um die Seen Lagunas del Espejo.

Am Abend hiess es Abschied nehmen von Mérida und den Anden, ein Nachtbus sollte uns nach Maracay bringen und ein weiterer Bus an die karibische Küste, um die Rundreise in Venezuela am Strand ausklingen zu lassen.